Räume und Infraräume für virtuelle Barcamps

Barcamps und Barcamp-artige Community-Formate mache ich jetzt schon recht lange. Nach dem Vorbild der Veranstaltung LexThink!, die vom ersten Barcamp 2004 inspiriert war und den Untertitel “No Agenda. No Powerpoint. No Kidding.” hatte, haben wir bei Cogneon im September 2005 den Cogneon Knowledge Jam ins Leben gerufen.

Der Jam lief in den ersten Jahren im reinen Barcamp-Modus, später sind wir zu einem hybriden Modus (Vormittag Impulse, Nachmittag Sessions) übergegangen. Im Jahr 2006 gab es dann das erste Barcamp in Nürnberg, dessen Sponsor wir heute noch sind. Gemeinsam mit Karlheinzpape habe ich 2009 das KnowledgeCamp der Gesellschaft für Wissensmanagement (Video von 2009) gestartet und das Corporate Learning Camp kontinuierlich ausgebaut.

Durch die Corona-Pandemie waren jetzt viele unserer öffentlichen Veranstaltungen, aber auch interner Veranstaltungen bei Kunden vom Verbot von Präsenztreffen größerer Gruppen betroffen. Beispiele sind das Corporate Learning Camp (19.-20.03.) oder das Volkswagen Group Collaboration Camp (29.04.), das eigentlich wieder in einem Fußballstadion stattfinden sollte.

https://www.youtube.com/watch?v=eNAKuwiyN4I

Den Orga-Teams empfehle ich dabei für die Umplanung von Präsenz auf Virtuell oder Hybrid, sich mit den Five Levels of Remote Work von Matt Mullenweg zu beschäftigen. Der erste Sprung erfolgt von Level 1 auf Level 2 “Recreating the face-2-face situation, but online”. Das Orga-Team versucht, die Interaktion im Barcamp vor Ort möglichst 1:1 online abzubilden.

In den vielen virtuellen Barcamps, die ich in den letzten drei Monaten mitgemacht habe, lag der Fokus dabei hauptsächlich auf dem Sessionplan und der Abbildung von Session-Räumen in Videokonferenzen. In Feinheiten unterschieden sich die Veranstaltungsdesigns, z.B. ob Videokonferenz-Tools Breakout-Räume als Funktion bieten (z.B. Zoom, Big Blue Button) oder die Breakout-Räume über verschiedene Videokonferenzen umgesetzt werden (z.B. Teams, Circuit).

Sessionplan der Barcamp Night #bcnight am 29.05.2020

Ein weiterer Unterschied war, was ich den Uber-Modus im virtuellen Barcamp nenne: die Session-Owner erstellen ihren Raum selber (so wie die Uber-Fahrer*innen ihr eigenes Auto verwenden) und tragen den Zugangslink in den Sessionplan ein. Alles in allem würde ich sagen, dass die Umsetzung von Anmoderation/Plenum, Sessionplan und Sessions in den virtuellen Raum ein mittlerweile gut verstandener Prozess ist und es einen großen Katalog bewährter Praktiken gibt.

Das was bisher meistens zu kurz kam waren die Elemente, die für mich die besondere Barcamp-Atmosphäre ausmachen:

  • Die Teilnehmer kommen schon früh an und tauschen sich aus
  • In den Kaffee- und Mittagspausen setzt man sich zusammen und spricht, es kommt zu zufälligen Begegnungen
  • Man geht gemeinsam aus einer Session raus, stellt sich bei den Getränken an und redet noch weiter
  • Nach dem ersten oder zweiten Bier bei der Abendveranstaltungen kommen in entspannter Atmosphäre die echten “War Stories” auf den Tisch
  • Bekannte Personen stellen sich bisher unbekannten Personen vor, weil sie wissen, dass diese ähnliche Interessen haben
  • uvm.

Um das auch zu unterstützen braucht es neben der Abbildung der Session-Räume in Videokonferenzen das, was ich im Titel des Blogs mit Infraräume, also Zwischenräume zwischen den eigentlichen Räumen bezeichnet habe. Die Infraräume haben den Zweck, die oben aufgezählten Interaktionen der Teilnehmer*innen zu unterstützen und zu befördern. Denn in diesen Zwischenräumen und nicht nur im selbstorganisierten Barcamp-Format liegt ein großer Teil des Werts der Veranstaltung und es entstehen Ideen, aus denen hinterher großes erwachsen kann.

Die Frage für das Orga-Team ist dann, mit welchen virtuellen Tools man solche Infraräume abbilden kann. Ein schönes Besipiel, wie es nicht funktioniert, war die rpREMOTE. Der versuche den “Hof” als DEN zentralen Community-Treffpunkt in einer Zoom-Konferenz abzubilden ist mit Pauken und Trompeten gescheitert. Ich glaube, als Infraraum sind Videokonferenzen ungeeignet, weil der Cocktailparty-Effekt nicht funktioniert und Gespräch in spontan gebildeten kleinen Gruppen nicht unterstüzt werden.

Einige Tool-Kandidaten für Infraräume sind aus meiner Erfahrung:

  • Chatgruppen, z.B. in Telegram: wenn alle in einem persistenten Chat und nicht in den temporären Chats der Videokonferenzen sind, kann spontaner Austausch und Verabredung zu Gruppengesprächen entstehen.
  • Chat mit Mehrkanal-Funktion, z.B. in Slack, Teams, Mattermost, Rocketchat, Discord, IRC: besteht im Chat anders als bei WhatsApp und Telegram die Möglichkeit, mehrere Chat-Kanäle anzulegen, können die Kanäle als Infraräume auch für spontane Gruppen verwendet werden
  • Virtuelle Welten, z.B. in Tricat, Mozilla Hubs, AltaVR: virtuelle Welten in 2D am Montitor oder in 3D im VR-Headset bieten die Möglichkeit, sich frei im Raum zu bewegen, d.h. man sieht, wer gerade wo ist und kann sich da hin begeben. In Tools wie Mozilla Hubs funktioniert sogar der Cocktailparty-Effekt, man kann sich problemlos mit den Leuten in seiner virtuellen Nähe verständigen.

Beim lernOS All Stars Camp (#loscamp20), das Hackathon-artig in den 24 Stunden vom 23.06. (16:00 Uhr) bis 24.06. (16:00 Uhr) stattfindet, wollen wir eine weitere Möglichkeit für Infraräume ausprobieren und alle Lessons Learned aus den virtuellen Veranstaltungen des ersten Halbjahrs einfließen lassen.

Wir verwenden Remo, ein Tool, das einem eine 2D-Draufsicht einer Veranstaltungslokation zeigt (Kosten ca. 1.000,- für 24h). Die Lokation besteht aus einer Bühne (das Plenum) und einzelnen Tischen und Sitzgruppen, an denen Einzelgespräche stattfinden können. Die Teilnehmer können sich durch Klick auf einen freien Platz beliebig im Raum bewegen. Durch Profilbilder wird angezeigt, wer gerade an welchen Tisch sitzt. Begibt man sich an einen Tisch, startet sofort eine Audio- und Videokonferenz mit den dort befindlichen Teilnehmer*innen. Zusätzlich kann man den Bildschirm teilen und ein Whiteboard nutzen.

Für das sind zusätzlich ein gemeinsames Dinner ab 19:00 Uhr (mit Community-Kochbuch-Aktion), ein Online-Spiel und eine Party mit Live-DJ geplant.

Falls ihr euch das mal anschauen wollt, auch um Ideen für eure externen oder internen virtuellen Veranstaltungen zu erhalten, könnt ihr euch unter https://cogneon.de/loscamp20 gerne noch anmelden.

1 Kommentar zu „Räume und Infraräume für virtuelle Barcamps“

  1. Danke für Deinen Fokus auf die bisher fehlenden “Infra-Räume” bei BarCamps (und anderen Online-Formaten). Auch bei Präsenz-BarCamps sagen ja viele: Das Beste waren auch hier die Pausen. Wenn wir den informellen Teil des Socializings auch online ermöglichen, dann könnten die Vorteile der Online-Veranstaltungen sogar überwiegen!

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