Der 35C3 vom 27.-30.12.2019 – ein Lernformat der besonderen Art

Die Weihnachtsfeiertage sind ruhig und im Kreis der Familie verbracht und ich befinde mich auf dem Weg zum 35. Chaos Communitcation Congress, der wie jedes Jahr vom 27.-30. Dezember stattfindet. Aktueller Veranstaltungsort ist die Messe in Leipzig, verkauft wurden 15.000 Tickets.

Auf den Events des Chaos Computer Clubs herrscht immer striktes Foto- und Film-Verbot und die Berichterstattung in den Medien zielt meist nur auf sehr selektive Themen hin (meine Vermutung für dieses Jahr: Hack von Apple Pay). Daher ist es immer schwierig Außenstehenden zu vermitteln, wie sich die Veranstaltung eigentlich anfühlt. Die Filmemacherin Sandra Trostel hatte eine Genehmigung, die Veranstaltungen des Clubs über einige Jahre hinweg zu begleiten. Über eine Crowdfunding Kampagne ist daraus der Film All Creatures Welcome entstanden, der in den letzten Monaten in ausgewählten Kinos lief, jetzt auf dem Kongress gezeigt und danach offen im Netz bereitgestellt wird.

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Für mich ist der Kongress immer auch Prototyp für die Lernevents der Zukunft aus dem ich immer wieder viele Ideen und Anregungen für eigene Veranstaltungen mitnehmen konnte. Für Neulinge bei der Veranstaltung fühlen sich die vier Tage meist wie das Eintauchen in eine digitale Parallelwelt an. Doch ein mit bisschen Distanz betrachtet hat der Kongress alle Bestandteile, die für mich zukunftsfähige Lernformate ausmachen. Karlheinz hat ja vor Kurzem in einem Blog beschrieben, wie Fachmessen versuchen, sich als Lernevents zu postitionieren. Ähliche Bemühungen lassen sich auch in Bereichen von klassischen Trainings- oder Kongress-Veranstalter beobachten. Doch formale Lern-Settings sind bekanntlich nur eine Zutat für den Lernmix der Zukunft. Nach dem 70/20/10 Modell sind das soziale Lernen in Communities und das selber Ausprobieren und daraus Lernen genau so wichtig.

Hier eine Übersicht der Komponenten des 35C3, die für mich auch die Lernformate der Zukunft ausmachen:

  • Talks: an allen vier Tagen gibt es ein dicht gepacktes Vortragsprogramm mit Neuigkeiten und Hintergründen in den sieben Themenfeldern “Art & Culture”, “Entertainment”, “Ethics, Society & Politics”, “Hardware & Making”, “Resilience”, “Science” und “Security”. Einen Überblick über das ganze Programm gibt der Fahrplan, den es natürlich auch als App gibt.
  • Livestream: alle Vorträge werden unter streaming.media.ccc.de vom @C3VOC (Video Operation Center) live gestreamt. In allen Sälen sind mehrere Kameras und eine Bildregie, die einen Videomix erzeugt. Simultanübersetzer bieten i.d.R. mindestens Deutsch-Englisch-Übersetzungen an. In einem Postproduktionsraum werden die Mitschnitte mit Intro und Outro versehen und landen dann per Knopfdruck auf Youtube und auf media.ccc.de. Die Livestreams und Aufzeichnungen sind aus meine Sicht ein ganz wichtiges Element, damit Teilnehmer*innen auf dem Kongress nicht nur Vorträge anschauen, sondern auch an anderen Community-Events teilnehmen (“Den Vortrag kann ich mir ja auch hinterher bequem zuhause anschauen”).
  • Lightning Talks: ein Lightning Talk ist ein Format für Kurzvorträge ähnlich Pecha Kucha oder Ignite. In Slots von nur fünf Minuten werden Themen mit harter Timebox vorgestellt. Die Folien müssen vorab abgegeben werden, sie werden über einen zentralen Rechner abgespielt. Optische wird das durch eine LED-Lampe signalisiert, die ich mir im letzten Jahr gleich nachbauen musste :-)
  • Self-organized Sessions: in den Konferenz-Räumlichkeiten der Messe Leipzig stehen Räume zur Verfügung, in denen organisiert über das Wiki selbstorganisierte Sessions stattfinden können. Diesen Teil des Kongresses könnte man neben dem Konferenz-Teil als Unkonferenz- oder Barcamp-Teil verstehen, allerdings ohne die Komponente der Session-Planung.
  • Assemblies & Projects: könnte man in dieser Liste einen Punkt hervorheben, wäre es dieser. Ein zentrales Element des CCC bilden die sog. Erfa-Kreise in vielen Regionen und Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und darüber hinaus. Die Mitglieder der Erfa-Kreise treffen sich oft regelmäßig oder gar täglich in Hackerspaces, eine Art Coworking-Space für Hacker, in ihrer Region. Auf dem Kongress besteht mit den Assemblies die Möglichkeit, sog. Assemblies anzumelden. Ein Assembly ist ein Bereich, der der regionalen Community als dauerhafte Anlaufstelle während der vier Tage dient. So entsteht intensiver Austausch zu bestehenden Projekten und neue Ideen können geschmiedet werden. Ich werde auf dem 35C3 häufig im Sendezentrum, dem Assembly der Podcasting-Community zu finden sein.
  • Lounge: für das Community Building darf es natürlich auch nicht an Party-Optionen für das soziale Zusammensein fehlen. Dafür gibt es mit der Lounge und ihren mittlerweile vier Areas genug Optionen von Ambient Sounds bis zu hartem Techno. Bekannte Acts wie z.B. Kollektiv Turmstraße sind Teil des Künstler-Lineup.
  • Wiki: das Wiki zum Kongress wird jedes Jahr neu aufgesetzt. Es basiert wie Wikipedia auf der Open-Source-Anwendung Mediawiki, angereichert um semantische Funktionen. Das Wiki ist die zentrale Anlaufstelle für alle Informationen von der Security Surviaval Guideline bis zur FAQ.
  • Chat: traditionell wird im Club IRC auf hackint.org als Chat-Kanal verwendet. Seit einiger Zeit ist aber auch Rocket.Chat, die offene Alternative zu Slack im Einsatz. Dort gibt es Kanäle von Logistik, über Herald-Planung bis zur Lounge.
  • Freiwillige: last but not least wird der Kongress getragen von weit über 1.000 Freiwilligen, die nicht nur die Ticketpreise von ca. 140,-/4 Tage möglich machen, sondern einen ganz wesentlichen Teil zum Community Building beitragen. Der Effekt ist ähnlich wie bei der Wikipedia, sobald ich einen Satz beigetragen habe, ist die Wikipedia auch ein bisschen “meins”, während der Brockhaus immer “deren” bleiben wird. Über die Arbeit als FreiwilligeR kommt man schnell in die sozialen Strukturen des Clubs und lern Gleichgesinnte kennen. Die Freiwilligen auf dem Kongress heissen “Engel”, ihre Anlaufstelle ist passenderweise der “Himmel”. Eine Übersicht über die Tätigkeiten für Freiwillige bietet das Wiki, koordiniert werden die Aktiven über das eigens dafür entwickelte Engelsystem.

Falls Ihr nicht vor Ort sein könnt: nutzt das Streaming-Angebot und den Twitter Hashtag #35c3, um ein bisschen Kongressluft zu schnuppern und das eine oder andere für eure Aktivitäten mitzunehen!

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