Working Out Loud (#wol TM) – Rolle rückwärts?

Vor einigen Tagen hat John Stepper in seiner Working Out Loud (#wol) Community Änderungen an den Nutzungsbedingungen der Working Out Loud Circle Guides (#wolcg) angekündigt. Unbestritten, das Lernprogramm der Circle Guides ist sehr gut und hat schon vielen Menschen bei den ersten Schritten in die digital-vernetzte Welt des 21. Jahrhunderts geholfen. Auch klar: WOL in die Breite zu bringen ist John’s Beruf und er muss damit Geld verdienen.

Die Änderung der Terms of Use in Richtung Geschlossenheit und Kommerzialisierung fühlt sich für mich aber nach einem weiteren Schritt an, rund um die WOLCG eine Atmosphäre zu schaffen, die nicht zum Kern des Themas passt. Ungefähr so, wie wenn man ein Lernprogramm zu Nachhaltigkeit anbieten würde, aber alle Teilnehmer_innen mit dem Privatjet einfliegt. Aber fangen wir mal ganz vorne an.

Die Wurzeln von Working Out Loud (WOL)

Die Ursprünge von Working Out Loud habe ich ausführlich in unserem Wiki beschrieben. Die Kurzfassung: der Begriff taucht erstmals 2006 im Blog Thinking and Working Out Loud von Glyn Moody auf. Dort beschreibt Glyn, wie ein offener Blog ihm dabei hilft, aufgenommenes Wissen zu “verdauen”, zu verstehen, in einen Kontext zu setzen und ihn über die offene Verfügbarkeit der Inhalte quasi ganz nebenbei anderen zur Verfügung zu stellen. Man könnte das als Lernen durch Lehren bezeichnen, mit der Wissensteilung als Abfallprodukt.

Dave Winer weist in seinem Blog Narrate Your Work 2009 darauf hin, dass es bei der eigenen Wissensarbeit auch wichtig ist, über die eigene Arbeit zu erzählen (neudeutsch könnte man von “Storytelling” sprechen). Es ist nicht nur wichtig, dass andere wissen, woran man arbeitet, sondern auch, wo es Probleme gibt und was nicht funktioniert hat. Dave nennt Microblogs (Twitter) als wichtiges Tool dafür.

Angeregt durch den Blog Managing the visibility of knowledge work von Jim McGee schrieben Brian Tullis und Joe Crumpler 2010 ihren Beitrag Observable Work: The Taming of the Flow. Darin beschreiben sie, welche Rolle Plattformen wie SharePoint oder Jive dabei spielen können, Wissensarbeit von Anfang an sichtbar zu machen. Diesen Prozess hat Greg Lloyd in seinem Blog Enterprise 2.0 and Observable Work als “observable work” (#owork) bezeichnet hat.

Auf Basis dieser Vorarbeiten hat dann Bryce Williams in seinem Blog When will we Work Out Loud? Soon! im Jahr 2010 die Definition von Working Out Loud als Observable Work + Narrating Your Work (für mich nach wie vor die beste Definition). WOL ist also das sichtbar machen der eigenen Arbeit, das Erzählen darüber mit Hilfe von Tools wie Blogs, Microblogs, Wikis und Sozialen Netzwerken sowie der Aufbau eines persönlichen Netzwerks, das an der eigenen Arbeit interessiert ist und das einem bei Fragen und Problemen helfen kann.

Die Working Out Loud Guides (WOLCG)

Die heutigen Working Out Loud Circle Guides entstanden im Rahmen der Einführung von Jive als Enterprise Social Network (ESN) bei der Deutschen Bank. Zunächst als klassisches Seminar angelegt entwickelte sich der Inhalt Schritt für Schritt in Richtung eines 12-wöchigen Lernprogramms. John griff die Idee der LeanIn Circles (Frauennetzwerk zur persönlichen Entwicklung) von Sheryl Sandberg auf, um kleine Lerngruppen von 4-5 Personen das Lernprogramm gemeinsam durchlaufen zu lassen.

Ab August 2015 standen die WOLCG mit der Version 3.01 erstmals auch im Internet bereit. Zunächst ohne Lizenzvermerk erhielten sie von Version 3.5 (Mai 2016) bis Version 4.51 (Februar 2018) die Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 4.0. Das ist eine vergleichsweise geschlossene Lizenz, die keine kommerzielle Nutzung und keine Bearbeitung zulässt. Anders als manchmal behauptet, waren die WOLCG nie Open Source, weil zu keinem Zeitpunkt bearbeitbare Quellen vorlagen (s.a. Open Definition).

Mit der Version 5 (März 2019) wurde die Creative Commons Lizenz entfernt und ein normaler Copyright-Vermerk eingefügt. Die Speicherung dieser Version in einem Intranet war aber noch erlaubt. Das änderte sich dann mit der Version 6, die die Ablage der WOLCG im Intranet explizit untersagt. Die persönliche Nutzung der Guides ist in Version 6 noch erlaubt.

Bei den aktuelleren Version des WOLCG gibt es meines Wissens nach keine nach außen sichtbare Versionierung mehr (kann man die aktuelle Version als 7 bezeichnen?). Im Jahr 2018 erschien das Working Out Loud Circle Journal, 2020 dann das Working Out Loud Circle Workbook. Das Circle Workbook gibt es aber nicht mehr als PDF oder Buch offen zu kaufen, sondern nur noch in einer Flipbook-Version online.

Ich hatte mal einen Versionsvergleich der Versionen 4.51 bis 7 gemacht. Über die Versionen hat sich das Design und das Format (PDF->Flipbook) stark verändert. Natürlich haben sich auch einige Übungen und Links verändert, die Grundstruktur des Lernprogramms ist aber seit Version 4.51 recht stabil geblieben. Da die Version 4.51 in sehr vielen Sprachen und der Creative Commons Lizenz verfügbar war, habe ich diese bei uns im Wiki mit Links auf archive.org archiviert, eine weitere Quelle ist das WOL.wiki von Magnus Rode (wichtig: falls ihr in den alten Versionen auf kaputte Links stoßt, müsst ihr euch die selber raussuchen :-)

Die Depublikation des WOL Blogs

Letzte Woche hat dann mein Linkchecker-Tool gemeldet, dass Links auf “workingoutloud.com/blog/…” nicht mehr funktionieren. Eine kurze Recherche ergab, das John seine Webseite neu gestaltet hat (sieht sehr schick aus) und dabei aber die über 400 Blogs offline genommen hat. Ich dachte zunächst, das sei ein technischer Fehler, aber es scheint wohl so, dass der Blog offline bleibt. Nicht gut.

Wie kann man mit einem WOL Mindset auf so eine Idee kommen? In dem Blog ist ein großer Teil der “Narration”, wie es zu den WOLCG kam und welche Einflüsse und auch Fehltritte es gab. Es gibt vom W3C die schöne Regel Cool URIs don’t change, die sollten alle Blog-Betreiber_innen beherzigen. Jetzt laufen viele Links auf Webseiten, Blogs und Intranets ins Leere und viele Inhaltsverantwortliche müssen Frage beantworten, warum denn die Links nicht mehr funktionieren. Auch nicht gut.

Glücklicherweise gibt es einen recht einfachen Weg, die Blog-Inhalte zumindest in das persönliche Archiv zu bringen. Der Dienst archive.org archiviert alle Seiten im Internet. Mit dem Ruby-Skript wayback-machine-downloader kann man sich ganze Websites von archive.org ziehen. Eine Befehlszeile und wenige Minuten später hat man alle Inhalte des Blogs auf seiner Festplatte liegen (wichtig: die darf man aus Urheberrechtsgründen natürlich NICHT im Internet veröffentlichen). Falls Interesse besteht, dass ich zeige wie das geht, kann ich gerne mal eine Session dazu machen.

Die neuen WOLCG Terms of Use

Die gerade angekündigten neuen Terms of Use (ToU) lassen die Verwendung der WOLCG Guides außerhalb von WOL Programmen oder Lizenzen jetzt überhaupt nicht mehr zu:

Effective February 15, 2022, access to WOL Workbooks will only be offered as part of a WOL program or license.

Es soll zwar immer wieder offene Programme und Pro-Bono-Lizenzen geben, aber die selbstgesteuerte Verwendung der WOLCG in einem Circle ist ab jetzt nicht mehr möglich. Für Unternehmen gibt es zwar über das WOL Circles Programm die Möglichkeit, die Inhalte für interne Nutzung zu lizensieren, mit einem Einstiegspreis von € 5.000,-/Jahr für 25 Personen dürfte aber die Einstiegsbarriere insbesondere für Graswurzelbewegungen sehr hoch liegen (Vergleich: Kauf eines 200-seitigen Buchs für € 200,-).

Das schrittweiße Schließen des WOLCG-Ansatzes zusammen mit der Depublikation der Blogs und den neuen Terms of Use hat mich zu der Phrase “Rolle Rückwärts” im Titel dieses Blogs bewogen, denn in Bezug auf die ursprüngliche Idee von Working Out Loud werden da nach meinem Gefühl (und jeder kann dazu gerne andere Gefühle haben) einige der WOL Werte nicht mehr gelebt (z.B. Visible Work, Growth Mindset->Develop an open curious approach). Aber wie Katha ganz richtig auf Twitter schreibt, die WOLCG sind John’s Baby und er muss entscheiden, wie er es aufzieht. Auch wenn das nicht allen von uns passt.

Der offene Weg von lernOS & Co.

Ich selber war in der WOL Bewegung ja auch von Anfang an mit dabei. Nach vielen eigenen Zirkeln hatte ich versucht unter dem Label WOL+ meine Ideen und Verbesserungsvorschläge zum Lernprogramm in die Community einzubringen (s.a. Blogs zu WOL+ Canvas oder WOL+ – What happens after a WOL Circle?).

John bat mich damals allerdings, den Begriff WOL nicht dafür zu verwenden, da er von ihm geschützt und seinen eigenen Inhalten vorbehalten ist. Von der Session “In Search of a WOL Business Model” auf dem Knowledge Jam am 24.11.2016 bis zu einer Videokonferenz mit John im Juni 2018 habe ich immer wieder versucht, John von den Vorzügen eines offenen Geschäftsmodells im Stile von WordPress & Co. zu setzen. Leider ohne Erfolg.

Die Bemühungen habe ich dann wegen geringer Aussicht auf Erfolg eingestellt und unsere bis dahin erstellten WOL+ Inhalte in die Entwicklung des lernOS für Dich Leitfadens einfließen lassen. Dort haben wir zunächst im Lernpfad “Offenheit & Vernetzung” (ursprünglich noch WOL Lernpfad genannt) die Übungsfolge aus den WOLCG leicht modifiziert nachgebildet, den Lernpfad dann aber nach und nach an die ursprünglichen Ideen zu Working Out Loud wie oben beschrieben angepasst.

Der lernOS für Dich Leitfaden steht -wie alle anderen lernOS Leitfäden auch- unter der sehr offenen Creative Commons CC BY Lizenz. D.h. ihr könnt die Inhalte verwenden (auch kommerziell), verändern und natürlich auch in euer Intranet kopieren. Alle Inhalte (auch Grafiken) sind auf GitHub in bearbeitbaren Formaten vorhanden. Wenn ihr uns nicht traut? Kein Problem, ihr könnt euch die Releases als ZIP-Dateien herunterladen oder die Repos forken. Sollten wir die lernOS Inhalte mal depublizieren, habt ihr eure eigenen Kopien. Aber das werden wir nicht.

Kleiner Veranstaltungshinweis noch am Ende: auf der lernOS Convention am 05./06. Juli 2022 (#loscon22) werden wir ein Inhaltspakete vorstellen, mit dem man eine lernOS Anlaufstelle im eigenen Intranet (z.B. SharePoint Online Websites, Confluence) schaffen, das selbstorganisierte Lernen in Learning Circles fördern und eine Community dazu aufbauen kann. Auf der loscon22 werden wir natürlich auch über WOL und das WOL Circle Workbook sprechen. Alle Anwender_innen der WOLCG (egal welcher Version) sind herzlich willkommen. We’re open, all creatures welcome!

KEEP CALM & LEARN ON!

6 Kommentare zu „Working Out Loud (#wol TM) – Rolle rückwärts?“

  1. FYI Indem Satz steht zwei Mal das Wort Netzwerks:
    WOL ist also das sichtbar machen der eigenen Arbeit, das Erzählen darüber mit Hilfe von Tools wie Blogs, Microblogs, Wikis und Sozialen Netzwerken sowie der Aufbau eines persönlichen Netzwerks Netzwerks, das an der eigenen Arbeit interessiert ist und das einem bei Fragen und Problemen helfen kann.

  2. Pingback: 3 Dimensionen des Peer Learnings - LernXP: LernXplorer Blog

  3. Juergen Rentschler

    Lieber Simon,
    sehr guter Artikel, habe wirklich etwas gelernt beim Lesen – schade dass hier wirklich eine ‘Rolle rückwärts” sichtbar wird (“Gier frisst Hirn”)

    Du hast noch einen kleinen “Typo” hier (das “e” ist zuviel”):
    ….hen). Es ist nicht nur wichtig”e”, dass andere wissen, woran man…

    LG Jürgen

  4. Danke, lieber Simon! Hardy hatte den Link mit mir geteilt, da ich derzeit an einem “How to build meaningful relations Guide” im Zusammenhang mit der Einführung der Viva Engage Features Stories und Story bei uns (Siemens Healthineers) arbeite und WOL seit 2019 nicht mehr mitverfolgt hatte.
    Schade, dass eine so schöne Initiative diesen Weg gegangen ist.

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