Es zeichnet sich ab, dass lernOS auf der Ebene der Lernenden Organisation und Office 365 zwei zentrale Themen bei mir im kommenden Jahr sein werden. Deswegen mache ich mir gerade Gedanken, wie die beiden Themen miteinander zusammenhängen. Das Zusammenspiel von Technologie und Lernen/Kultur soll gleichzeitig die Basis für den lernOS Guide auf Ebene der Organisation werden (erste Gedanken dazu im Handbuch Version 0.5). Dieser Blog-Beitrag kann sich im Lauf der nächsten Wochen immer wieder etwas verändern, wenn sich meine Gedanken ordnen.
3 Ansätze der Lernenden Organisation
Drei Quellen sind für mich für das Konzept der Lernenden Organisation zentral:
- Das Systemdenken aus der 5. Disziplin von Peter Senge
- Die 3 Building Blocks der Lernenden Organisation von David Garvin
- Das Dual Operating System mit Hierarchie und Netzwerk nebeneinander von John Kotter
Die fünf Disziplinen nach Peter Senge sind Shared Vision, Personal Mastery, Team Learning, Mental Models und Systems Thinking. In “Personal Mastery” ist das Lebenslange Lernen verankert, im “Team Learning” die Forderung nach kontinuierlich lernenden Teams. Das Systemdenken ist der Ansatz, ein Unternehmen nicht als eine starre Maschine zu sehen, sondern als einen lebendigen Organismus, der mit der Außenwelt agiert und sich selber kontinuierlich an Veränderungen anpassen kann (=lernen). Diese Anpassung passiert auf allen Ebenen der Organisation, vom einzelnen Mitarbeiter bis zur gesamten Struktur der Organisation, exakt die drei Ebenen von lernOS.
David Garvin und Amy Edmondson arbeiten in ihrem Artikel Is Yours A Learning Organization? die drei Handlungsfelder “Leadership that reinforces Learning”, “Concrete Learning Processes” und “A Supportive Learning Environment” heraus. Darin werden die Führungskräfte in ihrer Vorbildrolle für den Umgang mit Wissen und Lernen hervorgehoben. Bei den konkreten Lernprozessen wird eher auf formale Lernprozesse wie Informationsmanagement, Innovationsmanagement, Competitive Intelligence, Problem Solving und Skill Management abgezielt. Hier ergänze ich beim Erklären immer noch das informelle Lernen im Sinne des 70/20/10 Modells (Barcamps, Meetups, Communities of Practice). Garvin sieht im “Learning Environment” hauptsächlich kulturelle Aspekte (Gefühl der Sicherheit, Wertschätzung gegenüber anderen Ideen, Risikobereitschaft, Zeit zum Lernen), die natürlich extrem wichtig sind. Zusätzlich sehe ich in der Arbeits- und Lernumgebung auch noch die physische Arbeitsumgebung (Gebäude, Büros, Besprechungsräume, Kreativräume, Lernräume, Coworking-Spaces) und die digititale Arbeitsumgebung (Intranet, Enterprise Social Network, Anwendungen, mobile Endgeräte).
https://www.youtube.com/watch?v=lUP4WcfNyAA
Im Artikel Accelerate! beschreibt John Kotter die Koexistenz von Hierarchie und Netzwerk. Die Netzwerkorganisation besteht in diesem Modell aus Freiwilligen, die neben ihren Tätigkeiten in der Hierarchie auch im Netzwerk aktiv sind. Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden: 1.) Vernetzung mit anderen Kolleg*innen über die Grenze von Organisationseinheiten hinweg (sog. Fayolsche Brücken, z.B. durch Working Out Loud), aber auf individueller Ebene und ohne Gruppenbildung (linke Seite) 2.) Bildung von Initiativen und Subinitiativen, die zielgerichtet sind, aber mit einem selbstgegebenen Ziel und nicht durch hierarchische Vorgabe (rechte Seite).
Die Grundidee von Accelerate! baut auf den 8 Schritten der Veränderung aus dem Buch Leading Change auf, in der bereits die “Guiding Coalition” eine zentrale Rolle spielte:
- Establishing a sense of urgency
- Creating a guiding coalition
- Developing a change vision
- Communicating the vision for buy-in
- Empowering broad-based action
- Generating short-term wins
- Never letting up
- Incorporating changes into the culture
Der Guiding Coalition kommt dabei eine besondere Rolle zu, weil sie – bestückt mit Freiwilligen aus der hierarchischen Organisation – die Brücke zwischen Hierarchie und Netzwerk bildet. John hebt aber auch die drei wichtigsten Unterschied von Accelerate! zum alten 8-Schritte-Ansatz hervor: 1.) Früher war der Wandel zeitlich begrenzt, heute ist er dauerhaft 2.) Die Change Agents im alten Ansatz waren meist eine “small, powerful core group”, für den Wandel heute ist eine “volunteer army” notwendig 3.) die Change-Ansätze früher fanden in der traditionellen Hierarchie statt, heute muss die Flexibilität und Agilität des Netzwerks genutzt werden. Im Video Accelerate! The Evolution of the 21st Century Organization beschreibt John sehr anschaulich, wie die Balance zwischen Hierarchie und Netzwerk gehalten werden kann:
Office 365
Wie passt das Angebot von Office 365 mit dem Konzept der Lernenden Organisation zusammen? Für viele Neueinsteiger ist Office 365 erst einmal etwas unübersichtlich, da es so viele einzelne Anwendungen (Apps genannt) und Dienste bietet (z.B. Azure Cognitive Services). Darstellungen wie beispielsweise das Periodic Table of Office 365 zeigen die einzelnen Anwendungen zwar auf, helfen aber wenig für die Orientierung. Als Einstiegspunkt eignet sich in meinen Augen die Inner-Outer-Loop-Darstellung von Microsoft von der Ignite 2017, die eine Hilfestellung bei der Frage gibt, wo man eine Konversation in Office 365 beginnen sollte:
Ausgangspunkt in der Grafik unten ist der einzelne Mitarbeiter, dessen persönliches Informationsmanagement mit E-Mails (“ubiquitous for targeted communications”), Terminen, Kontakten etc. in Outlook stattfindet (für alle ESN-Fans: ja, das ist auch mehrere Jahre nach der Einführung von Enterprise Social Networks so!). Die Zusammenarbeit in bekannten Teams stellt der “Inner Loop” dar. Im Beschreibungstext der Grafik heißt es zwar “People you work with regulary on core projects”, ich würde den Inner Loop aber auf alle geplante Kommunikation und Zusammenarbeit in bestehenden und bekannten Teams und damit die linke Seite vom Dual Operating System beziehen (z.B. Abteilungen, Gremien, Projekt-Teams und Prozess-Teams). Der “Outer Loop” ist für “people you connect with openly accross the organization”. Über die Vernetzung können einfach Informationen ausgetauscht werden (z.B. über Working Out Loud), es kann aber auch zielgerichtete Kommunikation und Zusammenarbeit entstehen (z.B. In Communities of Practice). Das stellt dann die rechte Seite des Dual Operating System dar.
Bei der Vielzahl von Office 365 Apps, die kontinuierlich verbessert und erweitert werden (z.B. aktuell Kaizala), sollte ständig geschaut werden, welche davon für das Lernen in der Organisation relvant sein könnten. Prominente Beispiele sind Stream als internes YouTube, Forms für das strukturierte Erfassen von Feedback oder Flow für die Automatisierung von Routineaufgaben von Wissensarbeitern (z.B. Teilen neuer Videos in Communities).
Office 365 und die Lernende Organisation
Aus diesen Vorüberlegungen lässt sich ein Maßnahmenplan ableiten, wie die Einführung von Office 365 verwendet werden kann, um dem größeren Entwicklungsziel “Entwicklung einer Lernenden Organisation” zuzuarbeiten. Im Folgenden sammle ich in einer dynamischen Liste Elemente für einen Baukasten, den man dann fallspezifisch zu einer Projekt-Roadmap zusammenstellen kann:
- Sense of Urgency & Shared Vision: warum führt die Organisation Office 365 ein? Welche Elemente der Geschäfsstrategie können durch Office 365 unterstützt werden? Wie kann die Bedeutung von Wissen und Lernen in der Vision verankert werden (“Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß”)?
- Guiding Coalition: welches Kernteam und welches Guide-Netzwerk (“volunteer army”) bildet die Guiding Coalition die die Veränderung in der Arbeitsweise (New Work) treibt? Sind genug Schlüsselpersonen mit dabei? Sind genug Experten in Bezug auf Office 365, aber auch in Bezug auf die Arbeitsprozesse in denen Office 365 verwendet mit dabei? Wird die Guiding Coalition in der Organisation genug Glaubwürdigkeit und Reputation haben? Sind ausreichen etablierte Führungskräfte für die Unterstützung der Veränderung mit dabei? Wie können die Führungskräfte Vorbilder/Role Models in Bezug auf Digital Leadership sein/werden (Executive Blog, Executive Vlog, Executive Communities, Townhall mit Livestream, Executive Tweetchats)?
- Shared Vision: wie sieht das Zielbild für den Einsatz von Office 365 aus? Wie sieht Kommunikation und Zusammenarbeit in der Organisation, mit Partnern und nach Extern im Idealfall in Zukunft aus? Was sind die Kernbotschaften? Wie werden die Anwendungen von Office 365 in diesem Kontext platziert?
- Communication: wie kann die Vision und die Kernbotschaften bestmöglich in der ganzen Organisation bekannt gemacht werden? Welche Maßnahmen sind über Standard-Kommunikationsmaßnahmen (E-Mail, Flyer, Poster, 1-Pager etc.) hinaus sinnvoll? Welche Ansätze von Influencer- und Guerilla-Marketing können genutzt werden? Wie kann die Kommunikation “anders” als bisher üblich gestaltet werden, um den Botschaften “anders arbeiten” und “anders führen” Rechnung zu tragen?
- Empowering broad-based action: wie kann das Guide-Netzwerk als treiber für eine Massenbewegung eingesetzt werden? Wie kann das “Onboarding” neuer Guides im Netzwerk aussehen? Welches “Guide Toolkit” (Präsentationen, Leitfaden, Steckbriefe etc.) erhalten Guides als Hilfsmittel? Welche Regelaktivitäten werden für den Austausch von Guides angeboten (z.B. Monatstreffen, regelmäßige Online-Besprechungen)? Welche Unterstützung bieten die Guides an (1:1 Gespräche, Vorstellungen in Abteilungs-/Projektrunden, Hands-On-Workshops etc.)? Wie können alle Mitarbeiter Teil der Massenbewegung werden (z.B. Offene Calls, Barcamp zu Office 365, Bereitstellen aller Materialien in bearbeitbarer Form).
- Generating short-term wins: wie kann mit den Office 365 Anwendungen schnell ein Aha-Effekt erzeugt werden? Was sind Beispiele guter Praxis? Das können z.B. sein
- Delve Profile als “Homepage” und “Digital Twin” für Mitarbeiter, Absprungpunkt zum persönlichen Blog der Mitarbeiter
- OneDrive als ersatz für persönliche Laufwerke mit einfachem Teilen und Verfügbarkeit der Dateien auf allen Endgeräten
- OneNote als digitales Notizbuch für Mitarbeiter oder ganze Teams
- PowerPoint für die Erstellung von Multimedia-Inhalten inkl. Screencasts
- SharePoint als Intranet für die ganze Organisation oder Teile der Organisation (s.a. SharePoint Starter-Kit auf github)
- Skype for Business für Online-Besprechungen, aber auch für das Livestreaming von Meetups und Open Calls
- Stream für Aufzeichnungen von Schulungen, Screencasts, Tutorials (auch User Generated Content)
- Teams als Kommunikationszentrale für Abteilungs- und Projekt-Teams. Dadurch können E-Mails massive reduziert und Schatten-IT (z.B. Slack) zurückgefahren werden
- Teams für Gruppen, die gemeinsam durch eine Schulung oder ein Blended Learning Angebot laufen
- Word für maschinelle Übersetzung ganzer Dokumente (Beispiel: deutsche Version des lernOS Guide ist so entstanden)
- Yammer mit den Gruppen für offene Kampagnen und strategische Themen, die eine breite Menge von Leuten ansprechen
- Yammer mit dem offenen Aktivitätenstrom “Gesamtes Unternehmen” für offenes Teilen, Vernetzten und systematisches Working Out Loud
- Yammer mit der Livestream-Funktion für Mitarbeiterveranstaltungen, Fachveranstaltungen/Meetups und Townhall
- Yammer mit den externen Gruppen für die Kommunikation und Zusammenarbeit mit externen Partnern und Stakeholdern
- DILO (day in a life of) für verschiedene Rollen der Organisation, z.B. für Marketing, Sales, Human Resources, Finance, Compliance, Construction, IT Manager, Service Engineer, Retail Associate, Retail Manager (s.a. Office 365 Adoption Kit)
- uvm. (Deine Idee?)
- Never letting up: Keep Calm & Learn On!
- Incorporate changes into culture: wie können alle Maßnahmen rund um die Office-365-Einführung die Kultur einer Lernenden Organisation fördern (Lernkultur, Führungskultur, Innovationskultur, Fehlerkultur etc.)? Beispiele für konkrete Maßnahmen:
- Lead by Example: Führungskräfte werden in die Lage versetzt und angehalten, für den neuen offenen, agilen, transparenten und digitalen Arbeitsstil als Vorbild zu fungieren (z.B. durch Reverse Mentoring, Führungskräfte-Community, Verankerung in Leadership-Programmen)
- Open by default: Yammer-Gruppen oder SharePoint-Teamsites sind im Standard offen für alle Mitarbeiter und können nur durch Begründung geschlossen gestartet werden
- Working Out Loud: alle Mitarbeiter werden motiviert, ihr Delve-Profil zu pflegen, dort ihren eigenen Blog zu starten, in Stream einen Video-Kanal anzulegen und im Bereich “Gesamtes Unternehmen” auf Yammer intern zu twittern
- Lessons Learned: nach abgeschlossenen Aktionen oder Projekten werden After Action Reviews oder Lessons Learned Workshops durchgeführt und die Ergebnisse wenn möglich z.B. in einem Wiki allen Mitarbeitern verfügbar gemacht
- Strategy/Innovation Challenges: in offenen Yammer Gruppen werden Strategie- oder Innovationswettbewerbe gemacht, um Offenheit und Partizipation zu fördern
- uvm. (Deine Idee?)
So viel erstmal zu meinen ersten Gedanken zum Thema. Welche Ideen habt Ihr zum Ansatz “Office 365 und Lernende Organisationen” noch? Gerne unten in die Kommentare schreiben!
Scholarch der Cogneon Akademie. Von der Ausbildung Dipl.-Ing. Elektrotechnik mit Schwerpunkt Digitale Nachrichtentechnik. Ich brenne für Lernende Organisationen, Wissensmanagement, New Work und Lebenslanges Lernen. Mitglied in Corporate Learning Community, Gesellschaft für Wissensmanagement, Chaos Computer Club uvm. Weiterer Podcast unter http://knowledge-on-air.de.
Ich arbeite im Projekt an einem ähnlichen Konzept, um O365 und die damit verbunden anderen, neue Arten der Zusammenarbeit voranzubringen. Mal schauen, wie es da weiter vorangeht im neuen Jahr.