Was ist Lernen 2.0?

Im Jahr 2013 haben wir im Management 2.0 MOOC erstmals ganz bewusst den Begriff Lernen 2.0 für eine der Themenwochen verwendet. Seitdem gab es viele Anfragen, Vorträge, Workshops und Projekte zum Thema. Doch bis heute gibt es noch viele Gelegenheiten, bei denen man merkt, dass die Grundidee von “2.0” eigentlich noch gar nicht verstanden ist – und das obwohl die Marketing-Karawane schon zu “4.0” weitergezogen ist. Da diese beiden Konzepte aber weitgehend synonym gebraucht werden, möchte ich meine Sicht auf Lernen 2.0 hier mal in groben Zügen darlegen.

Der Begriff Web 2.0 wurde erstmals von Darcy DiNucci in Ihrem Beitrag Fragmented Future im Jahr 1999(!) erwähnt. Darin schreibt sie, die grundlegende Eigenschaft des Web 2.0 ist, keine sichtbaren Eigenschaften zu haben. In Breite bekannt wurde Web 2.0 dann durch den Autor und Verleger Tim O’Reilly mit seinem Artikel What is Web 2.0? aus dem Jahr 2005. Hören wir zunächst, wie Tim Web 2.0 in knapp einer Minuten definiert:

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Sein zentrales Argument ist, dass das Web als Plattform begriffen werden muss, auf der die Regeln für Unternehmen grundlegend anders sind. Insbesondere ist neu, dass Nutzer zur Wertschöpfung beitragen. Zentrale Aufgabe für Unternehmen muss also sein, Geschäftsmodelle zu finden, die das berücksichtigen. Neben dieser Eigenschaft nennt Tim in der Web 2.0 Meme Map in seinem Beitrag noch 20 weitere, darunter z.B.:

  • 2.0 ist eine Einstellung, keine Technologie
  • Tagging statt Taxonomie
  • Partizipation statt Publikation durch Weblogs
  • Radikales Vertrauen wie bei Wikipedia
  • Radikale Dezentralisierung wie bei BitTorrent
  • Den Long Tail ermöglichen
  • Daten als das neues “Intel Inside” (s.a. Big Data Diskussion)
  • Anpassung durch Hackability
  • Der Zustand des Perpetual Beta
  • Das Recht der Wiederverwendung durch “some rights reserved” (s.a. Diskussion zu Open Access, Open Content, Open Science)
  • Das Prinzip der Emergenz, statt der Vorherbestimmtheit
  • Das Web als Baukasten oder auch Small Pieces Loosley Joined

Kurze Zeit später prägte MIT-Professor Andrew McAffee den Begriff Enterprise 2.0. Wie er in seiner kurzen Definition im Video darlegt, geht es dabei wenig überraschend um den Einsatz von Web-2.0-Technologien (Wikis, Soziale Netzwerke, Microblogs, Social Bookmarks) in Unternehmen zur Verfolgung der organisationalen Ziele:

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In seinem Aufsatz Enterprise 2.0: The Dawn of Emergent Collaboration aus dem Jahr 2006 verwendet er die Abkürzung SLATES, um die sechs Komponenten von Enterprise 2.0 Technologien zu beschreiben:

  • Search: die Suche als zentrale Funktion neben der Navigation, um sich in großen Informationssystemen zurecht zu finden.
  • Links: In vielen Intranets wird Querverlinkung sehr sparsam und von kleinen Redakteursgruppen eingesetzt. Alle Nutzer müssen in die Lage versetzt werden, Links einzufügen (z.B. über Kommentare).
  • Authoring: Mitarbeiter über einfache Werkzeuge zu Autoren machen, damit diese Wissen, Einsichten, Erfahrungen, Kommentare, Fakten, Links usw. beitragen können.
  • Tags: durch einfaches Hinzufügen von Tags ermöglichen, dass Nutzer ihre Struturn hinzufügen können, statt die Strukturen der Autoren verwenden zu müssen (siehe dazu auch Vortrag von David Weinberger in der Library of Congress).
  • Extensions: durch die Anzeige weiterer Inhalte auf Basis von ähnlichen Inhalten oder Amazon’s Nutzer-die-dieses-Buch-gelesen-haben-Strategie Nutzer aktiv weitere Inhalte vorschlagen.
  • Signals: Nutzer in Form von E-Mail-Benachrichtigungen oder RSS-Feeds auf neue Inhalte hinweisen und diese aggregieren, damit sie nicht aktiv einzelne Webseiten regelmäßig öffnen müssen.

Gary Hamel, Gastprofessor für Strategisches Management an der London Business School und Co-Autor von The Core Competence of the Corporation, spannt den zeitlichen Bogen gleich über ein ganzes Jahrhundert. In seinem 2007 erschienenen Buch The Future of Management verwendet er die Metapher des Software Forking, um auf die Notwendigkeit der Entwicklung komplett neuartiger Management-Ansätze hinzuweisen. Mit dem finalen Kapitel Forking Management 2.0 will er Management 2.0 als “21st Century Management” verstanden wissen. Ich lege allen dringend ans Herz, sich knapp 17 Minuten Zeit zu nehmen und den Vortrag Reinventing the Technology of Human Accomplishment anzusehen, den wir damals auch als Eröffnung des Management 2.0 MOOCs verwendet haben:

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Im Management 2.0 Hackathon, 2011 gemeinsam von der Plattform Management Innovation Exchange (MIX), Saba und der Enterprise 2.0 Conference durchgeführt, haben die über 900 Teilnehmer*innen gemeinsam die 12 Prinzipien von Management 2.0 ermittelt:

  1. Offenheit
  2. Community
  3. Meritokratie
  4. Aktivismus
  5. Zusammenarbeit
  6. Sinn
  7. Autonomie
  8. Entdeckungen durch glückliche Zufälle (serendipity)
  9. Dezentralisierung
  10. Experimentieren
  11. Geschwindigkeit
  12. Vertrauen

Ich finde, dass von Web 2.0 über Enterprise 2.0 hin zu Management 2.0 eine klare Linie zu erkennen ist, wie wir im 21. Jahrhundert Arbeiten, Management und Lernen sollten.

Doch bevor ich hier an dieser Stelle meine Interpreation von Lernen 2.0 ergänze, mache ich das gleiche wie in Vorträgen an dieser Stelle: ich frage Sie/Euch die Leser*innen wie die persönliche Interpretation von Lernen 2.0 aussieh? Gerne als Kommentar hier im Blog oder Link zu Blog/Video etc. unten eintragen.

P.S. bitte keine Kommentare wie “2.0 ist doch schon alt, wir sind längst bei 3.0, 4.0, X.0” – die hier beschriebene Idee von 2.0 gilt für das kommende Jahrhundert :-)

3 Kommentare zu „Was ist Lernen 2.0?“

  1. Hallo Simon,
    ich finde es grundsätzlich nicht besonders toll, wenn alles 2.0 oder X.0 werden muss. Trotzdem ist es natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass sich durch die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche große Veränderungen ergeben, die neue Potenziale und neue Risiken mit sich bringen. Wenn ich also etwas zu neuen Lernformen sagen sollte, dann würde ich lebenslang, selbstbestimmt, just-in-time, interaktiv, multimedial, für die Massen, aber auch personalisiert nennen. Multimedial meine ich dabei nicht im Sinne von: alles muss ein Video sein, sondern im Sinne von je nach persönlichen Vorlieben als Text, Bildergeschichte, Podcast oder Video. Ich glaube, dass gerade das Potenzial von interaktiven E-Books, die Rollenspiel und Gamification Elemente verwenden noch nicht mal im Ansatz ausgeschöpft ist. Wir arbeiten gerade interdisziplinär an einem solchen E-Book zum Thema IT-Recht, um Erfahrungen damit zu sammeln. Das soll im Gegensatz zu iBooks auch plattformübergreifend funktionieren.
    Viele Grüße
    René

    1. Sehr guter Aufschlag! Ich denke wir müssen damit leben, dass neue Phänomene (z.B. das Mitmach-Web) neue Namen bekommen. Mich stört aber auch, dass viele Leute glauben, für minimale Abwandlungen dann auch neue Namen schöpfen zu müssen. Das verwirrt mehr, als es hilft und dient wahrscheinlich hauptsächlich der Befriedigung persönlicher Eitelkeiten.

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