AI First KM – Wissensmanagement im KI-Zeitalter

Im letzten KCLO-Newsletter habe ich zu einer Blog-Parade zum Thema „AI First KM“ aufgerufen, zu der ich natürlich auch selbst beitragen möchte. Mit der Veröffentlichung des Wissensmanagement-Standards ISO 30401 und der Verankerung im Prozess- und Qualitätsmanagement-Stanard ISO 9001 haben wir im Wissensmanagement einen Common Ground bekommen, an dem ich mich in diesem Beitrag orientieren möchte.

Das Ziel des Wissensmanagements ist es, das Management-System einer Organisation so zu entwickeln, dass möglichst viel Wert durch die Schaffung und Nutzung von Wissen für alle interessierten Parteien (Stakeholder) generiert wird. Beim Begriff „Wert“ geht es dabei nicht nur um monetäre Werte, sondern um die Erfüllung der Anforderungen, die die jeweiligen Stakeholder für sich definieren.

Wie man das „AI First“ denken will hängt natürlich start davon ab, wie man Wissen definiert. Ich neige dazu, im Kern die alte Definition aus der Philosophie „Knowledge is justified true belief“ (gerechtfertigte, wahre Meinung). Hier kann man jetzt natürlich streiten, inwiefern eine KI ein Überzeugungs- oder Glaubenssystem hat – ich glaube das eher nicht. aber spätestens mit den Reasoningmodellen und den Chain-of-Thought-Ansätzen gibt es zumindest eine Art Simulation der Rechtfertigung. Verwendet man hingegen die Wissensdefinition aus der ISO 30401 „human or organizational asset enabling effective decisions and action in context“, so kann man ein großes Sprachmodell (LLM) durchaus als einen Vermögenswert der Organisation sehen, der effektive Entscheidungen und Handlungen ermöglicht.

Knowledge is justified true belief

Abgesehen davon, dass man KI auch sehr gut in der Erstellung von Wissensmanagement-Strategien – wir binden da z.B. über Chatbots mittlerweile strukturiert alle Wissenemanagement-Standards, -Leitfäden, -Fallbeispiele, -Artikel und -Bücher ein – liegt ein großes Potential darin, alle Kernprozesse des Wissensmanagements systematisch auf das Verbesserungspotential durch KI zu prüfen. Für die Benennung der konkreten Kernprozesse gibt es verschiedene Ansätze, die ich hier verwenden könnte:

  1. Bausteine des Wissensmanagements nach Probst et.al.: Wissensidentifikation, Wissenserwerb, Wissensentwicklung, Wissens(ver-)teilung, Wissensnutzung, Wissensbewahrung
  2. Prozessbereiche des Wissensmanagements aus dem Münchner Modell nach Reinmann-Rothmeier: Wissensgenerierung, Wissensrepräsentation, Wissenskommunikation, Wissensnutzung
  3. Wissenskernaktivitäten aus dem Europäischen Leitfaden zur erfolgreichen Praxis im Wissensmanagement (CEN): Wissen identifizieren, Wissen erzeugen, Wissen speichern, Wissen teilen, Wissen nutzen.
  4. Wissensmanagement-Aktivitäten aus der Analyse Wissensmanagement Frameworks aus Forschung und Praxis von Heisig und Orth: Teilen von Wissen (share), Erschaffen von Wissen (create), Nutzung von Wissen (use), Speichern von Wissen (store), Identifikation von Wissen (identify), Erwerb von Wissen (acquire).

Um den Grundgedanken erstmal einfach zu halten, halte ich mich aber zunächst an die ganz einfach Zweiteilung (Dichotomie) Wissen schaffen und Wissen nutzen aus dem Einleitungskapitel der ISO 30401. Ich möchte aber alle Leser:innen motivieren, die eigenen Gedanken gerne mit weiteren Modellen durchzuspielen und die Ergebnisse zur Blog-Parade beizusteuern.

Es gibt Bereiche, in denen die Schaffung völlig neuen Wissens mit Hilfe von KI aufgezeigt wurde. Dazu gehören z.B. die Entwicklung von selbst für Großmeister neuen Go-Spielzügen (Zug 37) oder die Generierung neuer Genom-Sequenzen mit KI. Aber auch die Kombination von bestehendem explizitem Wissen für die Generierung von neuem Wissen (Combination im SECI-Modell von Nonaka und Takeuchi) ist ein Handlungsfeld mit Potential. Bei der Konzeption von Wissensmanagement-Ansätzen nutze ich z.B. zunehmend Literatur aus technischen Bereichen (z.B. Tool-Dokumentationen, Viva Engage) und sozialen Bereichen (z.B. Management-Literatur, Communities of Pracitce), um kombinierte und ganzheitliche Ansätze zu entwickeln.

In der Nutzung von bestehendem, dokumentierten Wissen sehe ich aber ein noch viel größeres Potential. Ein großes Sprachmodell (LLM) kann man sich vorstellen, als eine komprimierte Version des dokumentierten Weltwissens (Internet, Bücher, wissenschaftliche Artikel, Diskussionen uvm.). Ähnlich der GE-Boundaryless-Initiative von Jack Welsh mit dem Ziel eine „grenzenlose Organisation“ zu entwickeln, holt man sich als Organisation mit einem LLM das dokumentierte Wissen und die „Weisheit der Vielen“ in die Organisation. Somit hat man die Möglichkeit, sich viel mehr auf das kritische Wissen zu konzentrieren, dass die eigene Organisation vom Wettbewerb unterscheidet. Und während sich Villabajo noch mit dem Management von unkritischem Allgemeinwissen herumschlägt, hat Villariba schon den Vorsprung durch den fokus auf das kritische Wissen.

Und während sich Villabajo noch mit dem Management von unkritischem Allgemeinwissen herumschlägt, hat Villariba schon den Vorsprung durch den Fokus auf das kritische Wissen.

Ich würde mich freuen, wenn sich in der deutschsprachigen Wissensmanagement-Szene eine Gruppe von Leuten herausbildet, die gemeinsam mit mir über den AI-First-KM-Ansatz weiterdenken wollen. Diese Blog-Parade soll nur als Einstieg in den Austausch dienen. Ich freue mich auf viele weitere Beiträge.

Simon Dückert

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