Technik oder Kultur zuerst – das ist im Wissensmanagement die Frage

Kommende Woche bin ich mit meinem Kollegen Ulrich Schmidt vom Knowledge On Air Podcast zum Deutschen Fußball-Bund nach Frankfurt eingeladen. Dort werden wir die nächste Episode unseres Podcasts aufzuzeichnen. Der Zeit-Artikel Abreissen, neu bauen über die Planung der neuen DFB-Akademie hatte unser Interesse geweckt. Darin berichtet Oliver Bierhoff über das Projekt zur Planung und Umsetzung der neuen DFB-Akademie in Frankfurt, Projektleiter ist Ex-Hockey-Nationaltrainer Markus Weise. Wie man der Webseite der DFB-Akademie entnehmen kann, sollen Wissens- und Qualitätsmanagement die tragenden Säulen der Akademie werden.

https://www.youtube.com/watch?v=Ktf3IypPbHY

In einer vorbereitenden Telefonkonferenz haben wir bereits einiges über den Konzept-Stand der Akademie erfahren. Den Steckbriefen der Inhaltsmodule kann man einige der geplanten Maßnahmen des Kompetenzzentrums entnehmen (z.B. Ausbildung Fußball-Lehrer, Forum Bundesliga-Trainer, Ausbildung Spezialtrainer, Schiedsrichter-Lehrgänge, Trainer-Mentoring). Im Gespräch fiel die Frage “Technik oder Kultur zuerst?”. Da ich diese Frage schon in vielen Unternehmen und Organisationen gestellt bekommen habe, versuche ich, meine übliche Antwort auf die Frage in diesem Blog mal etwas ausführlicher zu skizzieren. Zunächst ein Projektbeispiel.

adidas Learning Campus

2008/2009 hat mich Christian Kuhna an Board des adidas Enterprise 2.0 Projekts geholt (s.a Podcast M2P021 adidas Learning Campus). Aufgabenstellung war den Übergang von internen traditionellen zu sozialen Medien zu gestalten. Im Intranet sollte der Weg “from isolated islands to one integrated intranet portal” beschritten werden. Als Lösung wurde zunächst telligent (Fokus: Wikis & Blogs), dann SharePoint 2010 und später unter dem Namen adidas a-Live SharePoint 2013 eingesetzt (s.a. Blog Game over for traditional intranet navigation). Dieses Intranet verbindet redaktionell bereitgestellte Inhalte, Suche, Navigation, Profil, News, den persönlichen Aktivitätenstrom sowie den Zugriff auf oft benötigte Anwendungen und Workspaces (Quelle: adidas):

Als adidas Vorstand Herbert Hainer im November 2011 die Konzeption einer neuen Corporate University bekannt gab, bat mich Christian wieder mit in das Projektteam zu kommen. Der Fokus weitete sich vom Sozialen Intranet hin zu Collaboration und Knowledge Management mit der Vision von adidas als Lernende Organisation (s.a. Präsentation Collaboration & Knowledge Management – Auf dem Weg zur Lernenden Organisation) Passend zur Unternehmensstrategie Route 2015 und dem Slogan “New Way of Working” haben wir als Motto für die Corporate University “New Way of Learning” ausgewählt.

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Das Konzept wurde partizipativ mit allen Mitarbeitern und offener Beteiligung der Web-Community erstellt (siehe z.B. Blogparade Help us find the new way of working and learning). Ein wichtiges Ergebnis war, dass über den “Holisitc Knowledge Cycle” die Themenfelder Innovation (Wissensgenerierung), Lernen (Wissensaquise, Faktenwissen & Fähigkeiten) und Wissenstransfer/-bewahrung (z.B. um Wissen bei Mitarbeiterfluktuation zu sichern) in einen ganzheitlichen Zusammenhang gestellt wurden (Quelle: GamePlan A):

Aus der Vision “to transform the adidas Group into a learning organization, with sustainable learning as a competetive advantage” wurden die 5 New Learning Principles abgeleitet:

  1. Working is learning and learning is working
  2. Shift to an open and collaborative, connected “social” learning environment
  3. Leadership means sharing, teaching and learning
  4. Innovation is part of everybody’s daily work
  5. Create a new culture of self-driven life-long learning

Da adidas -wie der gesamte Sportbereich- sehr kompetitiv denkt, war es wichtig, Einzelleistung und Teamerfolg miteinander in Beziehung zu setzen. Um die Vision der Lernenden Organisation Wirklichkeit werden zu lassen muss also das individuelle Lernen (“you learn”) über das organisationalen Lernen in den gemeinsamen Erfolg (“we grow”) übergehen (Quelle: Präsentation adidas Group – New Way of Learning auf dem Leonardo Corporate Learning Award):

Die Lernende Organisation – Ein sozio-technisches System

Ein kleiner Ausflug in die Organisationstheorie hinter Projektansätzen, wie dem geschilderten adidas Learning Campus. Organisationen kann man als sog. soziotechnische Systeme begreifen, d.h. sie bestehen aus einem sozialen Teilsystem und einem technischen Teilsystem (Quelle: Wikipedia):

In dieser modellhaften Darstellung lassen sich die Elemente Technik und Kultur der Ausgangsfrage verorten: im technischen Teilsystem sind die Prozesse und Aufgaben der Organisation sowie die eingesetzte Technik (Maschinen, Gebäude, technische Arbeitsmittel, Informations- und Kommunikationstechnik). Die Menschen (in der Grafik “Mitglieder”) in der Organisation zusammen mit den Rollen und der sozialen Struktur (Hierarchie, Netzwerk, Marktplatz etc.) bilden das soziale Teilsystem der Organisation. Durch den Faktor Mensch wird ein kompliziertes System immer auch zu einem komplexen System mit nichtlinearen und unvorhersehbaren Eigenschaften. Man kann das als ein Nachteil betrachten (Stichwort: VUCA-Welt) oder als eine Grundvoraussetzung für die Lernfähigkeit einer Organisation (Stichwort: komplexe adaptive Systeme). Zwei Aspekte des sozialen Teilsystems erscheinen mir besonders wichtig:

Erstens: das Management und damit auch die Strukturen von Organisationen haben sich über die letzten 100 Jahre evolutionär entwickelt. Militärische Organisationsformen bilden den Ausgangspunkt (Stichwort: Command & Control) und entwickelten sich über die Industrialisierung zu effizienten Reproduktionsmaschinerien weiter. Es gibt allerdings viele Anzeichen dafür, dass diese Art Organisation zu denken, für die digital-vernetzte Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts (s.a. Merkmale der Wissensgesellschaft) nicht mehr ideal sind. Zwei meiner bevorzugten Quellen dazu stammen von Gary Hamel (“Management 2.0”) und John Kotter (“Dual Operating System”).

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Zweitens: (Organisations-)Kultur wird meistens zu eindimensional als “Werteliste” oder “Die Art wie wir zusammenarbeiten” verstanden. Hier verwende ich gerne zur Vertiefung das Kulturebenen-Modell von Edgar Schein (Quelle: Wikipedia):

Im Projekt zum Bosch Praxisleitfaden Wissensmanagement (s.a. Projektpräsentation) haben wir dieses Modell z.B. im Kapitel “Wissensorientierte Unternehmenskultur und Führung” verwendet und in Form Wasserlilie dargestellt (Seite 37). Die Lilie selbst ist über Wasser und stellt das beobachtbare Verhalten sowie sichtbare Artefakte (z.B. ein für alle Mitarbeiter offenes Wiki) dar. Die Stile sind unter Wasser, symbolisieren Einstellungen und Werte und sind nur verschwommen zu beobachten. Die Wurzeln als Grundüberzeugungen der handelnden Personen sind im Grund verborgen und unsichtbar. Von oben nach unten steigt die Schwierigkeit (und damit die Zeitdauer), Veränderungen auf der jeweiligen Ebene zu bewirken. Ein Wiki ist schnell eingeführt, eine Kultur der offenen Wissensteilung zu entwickeln braucht gut und gerne Jahre bis Jahrzehnte.

Drei Bestandteile der Lernende Organisation

Möchte man eine Lernende Organisation entwickeln, stellt sich schnell die Frage “Wo fangen wir an?”. Hier bringe ich gerne Harvard-Professor David Garvin und seine Definition der Lernenden Organisation ins Spiel:

Eine Lernende Organisation ist eine Organisation, die die Fähigkeit besitzt, Wissen zu generieren, zu akquirieren und zu verteilen und ihr Verhalten auf Basis neuer Erkenntnisse und Einsichten zu verändern.

Seine “Building Blocks of a Learning Organization” (s.a. HBR-Artikel Is Your’s a Learning Organization?) bilden einen sehr guten Orientierungsrahmen für die Praxis:

Mit den Vorüberlegungen von oben sind folgende Aspekte bei der Gestaltung der drei Handlungsfelder zu beachten:

  • Lernumgebung: hier ist die technische Umgebung (Gebäude, Büros, Übungsräume/-plätze etc.), die virtuelle Umgebung (Intranet, Wiki, Blogs, Soziales Netzwerk etc.) und die kulturelle Umgebung zu berücksichtigen.
  • Lernprozesse: hier geht es, nicht nur um die Gestaltung des formellen Lernens (Training, Schulung), sondern im Sinne des 70/20/10-Modells insbesondere auch um das informelle Lernen.
  • Wissensorientierte Führung: hier ist nicht nur Top-Management-Support gemeint (auch wenn der unerlässlich ist), sondern auch der Antrieb und die Vorbildfunktion des mittleren Managements (s.a. Nonaka’s Toward Middle-Up-Down Management).

Ein schönes Beispiele, wie die Gestaltung physischer und virtueller Lernumgebung bei adidas Hand in Hand geht, sind die dort vorhandenen Coworking Spaces, die die Zusammenarbeit über Silogrenzen hinweg ermöglichen und somit Diversität und Innovation fördern (Beispiel: “The Pitch” in Herzogenaurach):

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Die Rolle von Tools in der Lernenden Organisation

Ein letzter Abschnitt noch zur Rolle von Tools in der Lernenden Organisation. Wissensmanagement hat sich vielfach aus dem Informationsmanagement und damit aus der IT heraus entwickelt. Auch wenn das Dreieck des ganzheitlichen Wissensmanagements “Mensch – Organisation – Technik” in vielen Folien auf der KnowTech (Wissensmanagement-Leitkonferenz der BITKOM 1999-2015) gezeigt wurde, waren die konkreten Ansätze dann doch oft eher technischer Natur (Content Management Systeme, Intranets, Suchmaschinen, Semantik etc.). Doch auch im Wissensmanagement gilt:

A fool with a tool is still a fool!

Die Vielzahl von technischen und nicht-technischen Tools im Wissensmanagement, ist heutzutage kaum noch zu überblicken. Auf Basis der Idee “Management 2.0” von Gary Hamel haben wir beispielsweise im Jahr 2013 den Management 2.0 MOOC (massive open online course) veranstaltet. Ein Ergebnis des Kurses war das Management 2.0 Toolkit, das aktuell 75 Werkzeuge für Lernende Organisationen umfasst. Einige Beispiele:

Doch geht es im Wissensmanagement mitnichten darum, möglichst viele Tools zum Einsatz zu bringen. Vielmehr ist die Idee, entlang der eigenen Ziele und Strategie die richtigen Tools auszuwählen und zu implementieren.

In meinem Vortrag “Lernende Organisationen – State of the Union” auf der KnowTouch letztes Jahre habe ich versucht, diese Evolution von vereinzelten Tools über Toolkits bis hin zum Framework der Lernenden Organisation darzustellen. Ich bin überzeugt davon, dass mit steigendem Reifegrad von links nach rechts auch die erreichte Wirkung (impact) exponentiell wächst.

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Aus diesen ganzen Gedanken, Erfahrungen und Ideen leitet sich unsere aktuelle Definition von Wissensmanagement ab:

Wissensmanagement ist die Führung und Gestaltung Lernender Organisationen.

Welche Werkzeuge in der Gestaltung ausgewählt werden hängt von Strategie und Ziel der Organisation ab. Wichtig ist die zugrunde liegende Haltung der handelnden Personen, denn sie entscheidet, ob wichtige Werte wie Offenheit, Vernetzung, Transparenz, Gemeinschaft etc. in die Kultur der Organisation Einzug halten oder nicht.

Aber jetzt freue ich mich erstmal auf das Gespräch kommende Woche. Der Podcast dazu erscheint dann auf knowledge-on-air.de. Wer sich noch für weitere Wissensmanagement-Podcasts interessiert, dem empfehle ich an dieser Stelle noch unseren Management 2.0 Podcast (demnächst erscheinen die Episoden zum Wissensmanagement bei Airbus und zu Digital Leadership).

2 Kommentare zu „Technik oder Kultur zuerst – das ist im Wissensmanagement die Frage“

  1. Potz Blitz! Das ist die beste Zusammenfassung, die mir in den letzten Jahren über den Weg gelaufen ist! Herzlichen Glückwunsch! Und viel Erfolg beim DFB !

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