In vielen Beratungsanfragen zu Wissensmanagement beobachte ich, dass zwar ein Fokus auf eines der Handlungsfelder im TOM-Modell (z.B. Technik: Microsoft 365, Künstliche Intelligenz; Organisation: Wissensmanagement-Rollen; Mensch: Entwicklung einer wissensförderlichen Unternehmenskultur) vorliegt, aber nur sehr selten eine thematische Fokussierung. Das führt in der Praxis dazu, dass Wissensmanagement-Ansätze in der Organisation sehr breit konzipiert sind und es schwer fällt, konkreten Nutzen zu identifizieren.
Die oft verwendeten Modelle des Wissensmanagements wie z.B. die Bausteine des Wissensmanagements von Probst et.al. oder die Wissensspirale von Nonaka lenken den Blick nicht zwingend auf die kritischen Wissensgebiete einer Organisation. Bei den meist knappen Ressourcen im Wissensmanagement fällt es dann schwer, den richtigen Fokus zu setzen und darin Maßnahmen konsequent und sehr zielgerichtet umzusetzen.
In unserem Erlanger Modell des Wissensmanagements – das in seiner ersten Version noch aus der Zeit vor der Gründung 2001 stammt – ist bereits die enge Kopplung von Wissenszielen mit Unternehmenszielen enthalten. In der Praxis ist es aber immer wieder schwierig, diese Ableitung vorzunehmen, weil Wissensmanagement-Ansätze nicht von Führung oder Strategieabteilungen, sondern z.B. von HR oder IT getrieben werden, die Einzelthemen nicht bevorteilen wollen.

Mit der Vorstellung der HighTech Agenda Deutschland (#HTAD) diese Woche gibt es jetzt in meinen Augen ein gutes Beispiel, eine derartige thematische Wissensstrategie auf nationaler Ebene zu definieren. Die HTAD legt klar sechs kritische Wissensgebiete für die Entwicklung des Landes fest und benennt für diese Wissensgebiete jeweils konkrete Ziele:
- Wissensgebiet 1: Künstliche Intelligenz
- Ziel 1.1.: Mit einer KI-Offensive wollen wir bis 2030 zehn Prozent unserer Wirtschaftsleistung KI-basiert erwirtschaften, die Arbeitsproduktivität erhöhen und Künstliche Intelligenz (KI) zu einem wichtigen Werkzeug in zentralen Forschungs- und Anwendungsfeldern machen.
- Ziel 1.2.: Wir verbessern die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von KI-Kapazitäten (Algorithmen, Daten, Rechner, Softwaretools, KI-Chips) für Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft messbar.
- Ziel 1.3.: Wir werden ein zentraler Player für die nächste KI-Generation und im weltweiten Wettbewerb.
- Wissensgebiet 2: Quantentechnologien
- Ziel 2.1.: Im Quantencomputing wollen wir bis zum Jahr 2030 mindestens zwei fehlerkorrigierte Quantencomputer auf europäischem Spitzenniveau realisieren und diese Nutzerinnen und Nutzern zugänglich machen.
- Ziel 2.2.: Wir sorgen dafür, dass bis 2030 mithilfe von Quantensensoren Krankheiten frühzeitiger erkannt werden, und erschließen mindestens ein weiteres Anwendungsfeld für die Technologie.
- Ziel 2.3.: In der Quantenkommunikation werden wir das Innovationsökosystem stärken und weiter ausbauen – dabei sollen die Perspektiven der Endanwenderinnen und Endanwender stärker Eingang finden.
- Ziel 2.4.: Wir stärken die Fachkräftebasis in den Quantentechnologien.
- Wissensgebiet 3: Mikroelektronik
- Ziel 3.1.: Wir ermöglichen leistungsfähige Chips „Designed in Germany“ und machen Deutschland zum europäischen Zentrum für Chip-Design.
- Ziel 3.2.: Wir stärken gezielt den Transfer vom Labor in die industrielle Umsetzung in Wachstumsfeldern und bauen ein Ökosystem für „Advanced Semiconductor Technologies“ in Deutschland und Europa auf.
- Ziel 3.3.: Wir steigern die Marktanteile deutscher und europäischer Mikroelektronik-Unternehmen und erhöhen unsere technologische Souveränität.
- Ziel 3.4.: Wir stärken die Resilienz von Lieferketten und mindern kritische Abhängigkeiten in der Chip-Versorgung.
- Wissensgebiet 4: Biotechnologie
- Ziel 4.1.: Wir werden durch Biotechnologie Deutschlands Souveränität in der Entwicklung der Medizin von morgen stärken und damit Deutschland zu einem Spitzenstandort für die Gesundheitsforschung machen.
- Ziel 4.2.: Wir werden Deutschland zum weltweit innovativsten Standort für die Biotechnologie ausbauen und so eine ressourceneffiziente, wettbewerbsfähige Industrie gestalten sowie die Wertschöpfung Deutschlands erhöhen.
- Ziel 4.3.: Wir werden mit der Biotechnologie resiliente, krisenfeste Agrar- und Ernährungssysteme der Zukunft entwickeln.
- Ziel 4.4.: Wir werden für eine zunehmend prädiktive und präventive Medizin von morgen die innovative Medizintechnik voranbringen.
- Wissensgebiet 5: Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung
- Ziel 5.1..: Wir machen Deutschland zu einem führenden Innovationsstandort für Fusionstechnologien. Wir wollen deutsche Unternehmen zu Weltmarktführern bei der Fusion machen und Arbeitsplätze schaffen.
- Ziel 5.2.: Wir unterstützen Innovationen und neue Technologien für die Energiewende, damit die Systemkosten gesenkt werden, keine neuen Abhängigkeiten entstehen und die Resilienz unseres Energiesystems gestärkt wird. Mithilfe von Spitzenforschung entwickeln wir Energietechnologien „Made in Germany“ für die Weltmärkte von morgen und übermorgen, damit deutsche Hersteller im Bereich innovativer erneuerbarer Energien im internationalen Wettbewerb eine führende Stellung einnehmen.
- Wissensgebiet 6: Technologien für die klimaneutrale Mobilität
- Ziel 6.1.: Wir bauen bis 2035 eine wettbewerbsfähige Batterieproduktion und -kreislaufführung in Deutschland auf, eingebettet in ein europäisches Produktionsnetzwerk.
- Ziel 6.2.: Wir stärken Deutschland als Forschungs- und Entwicklungsstandort für Technologien für alternative Antriebe und klimafreundliche Kraftstoffe in Europa. Dadurch machen wir Deutschland perspektivisch zum globalen Leitanbieter und größten europäischen TechnologieExporteur.
- Ziel 6.3.: Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für autonomes Fahren, stärken unsere Technologieführerschaft im bodengebundenen Verkehr, in der Luftfahrt und Schifffahrt und werden zum Innovationsführer bei der Vermarktung und Nutzung neuer Mobilitätstechnologien
- Ziel 6.4.: Wir stärken die Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung in der Fahrzeugindustrie und sorgen für Unabhängigkeit gegenüber geopolitischen Gegeben
Nächstes Jahr (2026) erscheint die neue Version des Wissensmanagement-Standards ISO30401. Darin wird u.a. das Konzept des „kritischen Wissens“, definiert als „“, eingeführt. Ich hoffe, dass wir dadurch in der Wissensmanagement-Praxis wieder mehr Fokus auf das strategische Wissensmanagement bekommen, das auf die organisationsrelevanten Wissensgebiete fokussiert und Wissensmanagement-Prozesse und -Maßnahmen systematisch aus diesen ableitet.
Wie ist das bei Euch im Wissensmanagement? An welchen Stellen gelingt die Fokussierung auf kritisches Wissens schon gut? Mit welchen konkreten Ansätzen?
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